
Im Gespräch bleiben - trotz Dissens
Liebe Leser:innen,
Neulich hat mir eine Seminar-Teilnehmerin von einem Gespräch mit einem Passanten auf dem Marktplatz erzählt. Der Mann wurde plötzlich laut und hat sich vehement über Elektromobilität aufgeregt. Es fielen Sätze wie “E-Mobilität ist der letzte Mist. Damit retten wir gar nichts!” oder “E-Autos sind eine teure Spielerei für grüne Ideologen, die kein normaler Bürger braucht. Dafür wird dem Steuerzahler das Geld aus der Tasche gezogen!”.
Zu oft haben Menschen auf solche Äußerungen reagiert mit einem "Mit solchen Klimawandel-Leugner:innen kann man nicht reden." Und sich abgewandt.
Doch von wem sich abgewandt wird, fühlt sich abgewiesen, zieht sich zurück, radikalisiert sich oder verbarrikadiert sich hinter der eigenen Meinung. Ebenso wenig funktioniert es, den Versuch zu unternehmen, andere mit harten Fakten oder der "richtigen" Meinung zu überzeugen – so berechtigt diese Meinung auch sein mag. Das Gefühl, überrollt oder missverstanden zu werden, führt nur zu mehr Widerstand.
Was also tun?
Wie können wir im Gespräch bleiben, wenn totaler Dissens herrscht?
1. Mit Fragen Brücken bauen
Im obigen Beispiel wurde der Passant gefragt, was er gerne in seiner Freizeit tut. Wenn es nicht darum geht, Recht zu haben, dann kann es darum gehen, neugierig zu sein.
Eine gute Frage kann Eis brechen und neue Räume öffnen. Zum Beispiel:
Solche Fragen laden ein, über persönliche Erfahrungen zu sprechen - fern von Faktengefechten. Sie holen den anderen aus der Defensive, indem sie keine Meinung angreifen, sondern Interesse zeigen.
Seine Antwort auf die Frage nach seiner Freizeit: "Ich fahre gerne mit meinem E-Bike durch die Wälder."


2. Antworten annehmen und innehalten
Wenn der andere antwortet, ist der nächste Schritt entscheidend: Innehalten. Reinspüren. Nachdenken. Wie will ich selbst reagieren?
Es war geradezu absurd: Der Mensch, der sich lautstark über E-Mobilität echauffiert hatte, fuhr selbst gerne mit seinem E-Bike durch die Wälder. Diese unerwartete Wendung brachte alle zum Lachen.
Das war heilsam, nicht direkt zu kontern, sondern zu lachen. Das gemeinsame Lachen hat die erhitzte Stimmung entspannt und den Raum für ein echtes Gespräch eröffnet.
Als nächstes können wir überlegen: Will ich etwas teilen? Und wenn ja, was? Statt Argumenten könnten Zweifel, Ängste oder sogar eigene Sorgen geteilt werden. Das macht verletzlich, ja. Aber es schafft auch Verbindung.
„Ich merke, dass ich selbst oft Sorge habe, ob wir überhaupt Lösungen finden können. Es fühlt sich manchmal an wie ein riesiger Berg. Was denkst Du, was wir tun könnten?“
3. Zwischen Small Talk und Deep Talk navigieren
Ein Gespräch, das sich so entwickelt, hinterlässt keine Verbitterung, sondern eine Erinnerung an einen Moment des gegenseitigen Respekts und vielleicht sogar der Inspiration. Wer weiß, welche Türen sich dadurch langfristig öffnen?
Nicht jedes Gespräch muss tiefgründig sein. Manchmal reicht ein einfacher Austausch - das Wetter, der Garten, der letzte Urlaub. Doch wenn die Gelegenheit da ist, lohnt es sich in tiefere Gefilde vorzudringen.
Die Frage lautet: "Was dient der Verbindung in diesem Moment?" Manchmal ist das ein gemeinsames Lachen über etwas Banales, mal das Teilen einer Sorge, manchmal auch ein anerkennendes Schweigen.

Ein neues Miteinander üben
Wir können nicht erwarten, dass jede Unterhaltung „Erfolg“ hat – was immer das bedeuten mag. Aber wir können üben, offen und präsent zu bleiben. Fragen stellen, zuhören, etwas von uns teilen. Das mag nicht jede Brücke bauen, aber es pflanzt einen Samen.
Und wer weiß? Vielleicht kann ein kleiner Moment des Zuhörens mehr bewegen, als wir glauben.
Bleiben wir im Gespräch.
Herzlich,
Euer Team vom KomKombinat